Vorwort Die Wirtschaftswissenschaften entdecken erst in den letzten Jahren die Bedeutung von Identitätsbildung für das individuelle Handeln. Identität entwickelt ein Individuum in bestimmten Kontexten. In aller Regel verfügen Individuen getreu dem Motto Wer bin ich - und wenn ja, wie viele? über mehrere Identitäten. So ist einer Bäcker von Beruf, Fußballspieler in der Freizeit und außerdem aktiv mitgestaltender Bürger einer Gemeinde - und eben Mann. Oder jemand anderes ist Elektroinstallateurin, Mutter und Politikerin einer Partei, in der sie auf Landesebene mitwirkt - und eben Frau. Die vielen Rollen, die man im Leben übernimmt, überlappen sich und stehen zuweilen im Widerspruch zueinander. Aber wenn man sich mit einer Rolle identifiziert, bedeutet dies, dass man bereit ist, die damit verbundenen sozialen Erwartungen zumindest teilweise zu erfüllen. Über die Identifizierung mit der Rolle entsteht eine Bereitschaft, freiwillige Leistungen für das Gemeinwesen beizusteuern. Genau das ist im Kontext dieser Publikation von besonderer Bedeutung. Der Wirtschaftsbereich Handwerk weist zum Beispiel nach wie vor eine besondere Ausbildungsleistung auf. Diese besondere Ausbildungsleistung hängt aufs engste mit dem kulturellen Code zusammen, der sich in einem Jahrhunderte langen Prozess im Handwerk herausgebildet hat. Handwerk ist Qualifikation, oder es ist kein Handwerk. Dieses Paradigma gehört zum Rollenverständnis der Handwerksmeister, die es als selbstverständlich erachten, ihre Kenntnisse und Fertigkeiten an nachwachsende Handwerkergenerationen weiter zu geben. Die Ausbildungsleistung im Handwerk beruht so nicht zuletzt auf dem ehrenamtlichen Engagement der Handwerker. Von diesen freiwilligen pro-bono-Leistungen profitieren bspw. die Jugendlichen, die im Handwerk ihre Qualifikation erwerben. Aber auch der ganzen Gesellschaft nutzt es, dass Ausbildungsgänge und Qualifizierungsmöglichkeiten auf allen Stufen existieren, um das Potential der Fähigkeiten und Fertigkeiten auszuschöpfen. Insofern ist es gesamtgesellschaftlich wichtig, Identität im Handwerk durch ordnungspolitische Rahmenbedingungen zu erhalten und zu pflegen. Dieser Sammelband untersucht eine ganze Reihe von offenen Fragen und verdeutlicht, wie wichtig dieses Thema für die politische Willensbildung insgesamt ist. Dabei tritt zutage, dass das Handwerk - wie nahezu alle Teile der Gesellschaft - Schwierigkeiten hat, seine Identität auf dem bisherigen Niveau zu halten. Hier geht es bspw. um folgende Fragen: Gibt es ein gemeinsames Berufsethos im Handwerk? Welche Rolle spielt die Ausbildung, um Identität zu schaffen? Lässt sich ein gemeinsames Leitbild im Bewusstsein der Handwerker verankern? Alle diese Fragen sind wichtig, um geeignete Maßnahmen zur Stärkung der Identität des Handwerks zu entwickeln. Einfache Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Umso wichtiger ist es, dass wir uns auf die Suche nach guten Lösungen begeben, denn von diesen profitiert am Ende nicht nur das Handwerk, sondern die ganze Gesellschaft.Wir wünschen diesem Band, dass er als Ausgangspunkt für diese Suche dient.Göttingen/Düsseldorf, im Februar 2011