Inhaltsangabe:Einleitung: Der Doppelgänger ist ein altes Motiv. Es spielt bereits im Glauben der Naturvölker eine Rolle: sie haben sich die Seele als ihr zweites Ich (double) vorgestellt, dessen Trennung vom Körper den Untergang des Individuums verursacht. Das zweite Ich übernahm auch schützende Funktionen, so der daimon bei den antiken Griechen, der auch in Platos Schöpfungsmythos beschrieben wird oder der genius in der römisch-antiken Mythologie, der den Menschen beseelt. Im antiken Denken betritt jeder Mensch die Erde mit einem unsichtbaren geistigen Doppelgänger, der ihn zeitlebens begleitet, schützt und zu seiner Bestimmung und Entfaltung leiten will. In vielen Schöpfungsmythen ist der Mensch, der nach dem göttlichen Ebenbild geschaffen wird, 'Doppelgänger' seines Schöpfers,was auch die Umkehrung zuläßt, daß der Mensch sich seine Götter als ideales Ebenbild selbst erschafft und unerreichbar macht. Diese Gottähnlichkeit ist jedoch ein zweischneidiges Schwert: sie ist einerseits Auszeichnung, andererseits aber auch Herausforderung. Das göttliche Ebenbild wird zum Wunschbild, indem es etwas Unerreichbares in sich verbirgt. Auch in der Literatur läßt sich das Alter ego bis zu den Anfängen zurückverfolgen: die Ähnlichkeit zweier Personen verursacht schon in der Antike - zum Beispiel in den Komödien Plautus`- Konflikte oder komische Situationen in den Verwechslungs- oder Zwillingskomödien. Hier ist die doppelgängerische Identität biologisch bestimmt und daher objektiv vorgegeben. In der Lustspieltradition der Antike kommt es am Ende immer zu einer wohlwollenden Auflösung der Verwirrung zwischen den beiden, visuell ähnlichen Gestalten. Das Motiv begegnet uns zur Zeit der deutschen Romantik am häufigsten, wobei seine psychologische Interpretation in den Vordergrund tritt und die Aufhebung der Einmaligkeit des Individuums eine bedeutende Neubelebung und Umdeutung erfährt. Doppelgängergestalten erscheinen oft in Märchen oder im Rahmen der phantastischen Literatur, die das Wunderbare und das Unheimliche in einer Weise darstellt, die die Leser und Figuren zwischen Realität und Imagination unschlüssig werden läßt. So wird es ermöglicht, daß ein Alter ego in verschiedenen Formen auftritt, handelt oder sich in anderen Dimensionen bewegt. Diese Arbeit nimmt sich vor, die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Motivs in der deutschen Romantik und dem russischen Realismus in drei Werken (Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte, [...]