Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte die Rechtsphilosophie in Deutschland eine Renaissance. Zwischen 1900 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs veröffentlichten unter anderem so unterschiedliche Juristen wie Rudolf Stammler, Fritz Berolzheimer, Hans Kelsen, Gustav Radbruch und eben auch Josef Kohler Werke zum Thema. Josef Kohler selbst sprach von der Wiedergeburt der Rechtsphilosophie. Freilich erhoffte er sich dabei eine Renaissance nach seinen Vorstellungen, doch die genannten Rechtsphilosophien gehörten unterschiedlichen Denkrichtungen an. Neukantianer standen Neuhegelianern und anderen Lagern gegenüber. Damit stellt sich die rechtsgeschichtliche Frage nach den Beweggründen für diese neue Rechtsphilosophie, handelte es sich dabei tatsächlich um neue Ideen oder war diese Phase rückwärtsorientiert? Und weshalb kam es gerade in dieser Zeit zu einem derartigen Schub an Veröffentlichungen?In dieser Arbeit werde ich versuchen, mich diesen Fragestellungen ausgehend vom Werk Josef Kohlers zu nähern und dabei die rechtsgeschichtlichen Hintergründe zu beleuchten. Den Schwerpunkt bilden hierbei Kohlers eigene Schriften, insbesondere die erste und zweite Auflage des Lehrbuchs der Rechtsphilosophie, sowie seine Beiträge zum Thema im Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie (ARWPh). Ergänzend werden auch andere Quellen und Literatur hinzugezogen, um ein weit gefächertes Bild zu erhalten. Es sei jedoch angemerkt, daß im Rahmen dieser Arbeit nur auf einzelne Aspekte eingegangen werden kann; keinesfalls besteht ein Anspruch auf Vollständigkeit in der Behandlung des Themas. Im ersten Kapitel werden bedeutende rechtsphilosophische Veröffentlichungen Kohlers in chronologischer Reihenfolge analysiert. Dabei soll sich ein möglichst umfassendes Bild der Rechtsphilosophie Josef Kohlers und ihrer Bedeutung in der Jurisprudenz seiner Zeit ergeben. Ausgehend von dieser Betrachtung werden im zweiten Kapitel die Kernthesen der Kohlerschen Rechtsphilosophie herausgearbeitet und an konkreten juristischen Fragestellungen auf ihre Konsequenz hin untersucht. Abschließend wird die zeitgenössische Rezeption von Kohlers Rechtsphilosophie skizziert und eine kurze Einschätzung der rechtsgeschichtlichen Bedeutung der Kohlerschen Rechtsphilosophie vorgenommen.