Inhaltsangabe:Problemstellung: Die philosophische Beschäftigung mit Problemen der Erkenntnistheorie umfasst ein weites Feld. Das verwundert kaum, ist doch die Frage, was wir erkennen und folglich was wir wissen können, eine der wichtigsten philosophischen Fragen. Sie ist umso bedeutender, als, von ihr ausgehend, andere philosophische Fragen beantwortet werden können. Sie ist die Prämisse zu weiteren Fragestellungen. Von ihrer Beantwortung hängt es ab, in welcher Richtung darauf aufbauende Thesen weitergedacht werden. Die Frage nach dem, was wir wissen können, ist selbst nicht tendenziös, bringt aber eine Tendenz in die Folgeüberlegungen. Selbst wertneutral, legt sie den Grund für Wertüberlegungen. Wenn wir uns heute mit erkenntnistheoretischen Problemen beschäftigen, tun wir das nicht oder nicht mehr aus der Motivation heraus, vorgegebene gesellschaftliche Denkschemata, seien diese nun konfessioneller, politischer oder naturwissenschaftlicher Art, zu bestätigen oder zu verneinen. Jene Arbeit kann gegenwärtig viel effektiver von den entsprechenden Fachleuten geleistet werden, die die Fülle des sich ständig vergrößernden Materials ihrer Forschungsrichtung besser überblicken. Neurobiologen, Psychologen, Physiker und Religionswissenschaftler können Theorien über die Mechanismen des Erkennens entwickeln, diskutieren und verifizieren. Unsere Aufgabe als Philosophen ist es aber vielmehr, gerade vor dem Hintergrund unseres enorm angewachsenen Partikularwissens in einzelnen Forschungsbereichen die Grundfragen der Erkenntnistheorie neu zu stellen. Unsere Aufgabe ist es, Erkenntnismodelle als solche kritisch zu untersuchen. Unser Beitrag zu einer immer komplexer werdenden und pluralistischen Gesellschaft kann insbesondere darin bestehen, jene Mechanismen des Erkennens selbst, die mitunter die Grundlagen für so viele unterschiedliche Meinungen und Werturteile vermitteln, zu hinterfragen. Epochen sind ein Spiegel der in ihnen vorherrschenden und sozial geteilten Vorstellungen über Werte. Werte waren aber zuerst Wissenswertes, Wissbares, und dann Gewusstes. Wenn wir also eine Epoche verstehen wollen, sei es die klassische Antike oder das Cyberzeitalter, müssen wir lernen, ihren Wertekanon nachzuvollziehen, denn durch kaum etwas anderes wird sie ¿ innerlich und äußerlich ¿ deutlicher gestaltet als eben durch ihre gesellschaftlich akzeptierten Auffassungen vom guten und gerechten Leben, von dem, was erstrebenswert ist und von dem, was vermieden werden sollte. [...]